Leistungsdenken sitzt tief
- Janine Brodbeck
- 11. Dez. 2019
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Dez. 2020
Über den Anspruch, eine perfekte Auszeit zu verbringen. Danach alles zu wissen und alles geklärt zu haben, um das perfekte Leben zu leben und endlos glücklich zu sein. Wie ich mir selber Druck machte, weil die Impulse nicht kamen und auch die Erleuchtung ausblieb. Wie ich Angst hatte vor dem Nichtwissen und schliesslich trotzdem nichts wusste.
Irgendwann im Sommer hatte meine Auszeit begonnen. Die Idee war, alles loszulassen und zu schauen, was das Leben so bringt. Ich hatte den Job gekündigt, mich in meiner Wohngemeinschaft abgemeldet, die Beziehung war usprünglich beendet gewesen, hatte sich dann aber doch mit Poltern und Getöse wieder in mein Leben reingedrängt. Ich wollte das unbedingt und übernehme dafür die volle Verantwortung. Und damit sei ein erstes Mal erwähnt, dass ich es gerne immer mal anders kommen lasse als geplant, dass ich zuweilen sogar vieles daran setze, dass es anders kommt.
Geplant war also eine Zeit, in der möglichst wenig inhaltlich geplant wäre. Nicht planen, sondern entstehen lassen. Leere Zeiten haben, in der Dinge einfach entstehen könnten. Das war es, was ich meinen Liebsten erzählte und den Menschen auf der Arbeit. Es klang ganz einfach. Erst im Rückblick erkenne ich, wie viele Erwartungen damit verbunden waren. Vielleicht durch eine grosse innere Leere zu gehen, irgendwie ein schwarzes Loch oder so. Damals war ich ja noch in der Trauer um meinen Freund, den ich jetzt wiederhabe, so dachte ich, ich würde noch mindestens tausend Tode sterben (was ich ja schon die ganze Zeit tat), irgendwann innerlich vollkommen leer und mindestens so deprimiert sein. Ich dachte, das würde mich dann irgendwie erwachsener werden lassen und so etwas wie eine buddhaähnliche innere Ruhe und tiefer Friede würden mich dann durchströmen, so nach ein paar Monaten des NICHTS. Etwas in mir ging davon aus, dass ich nach einer langen Zeit, in der ich nichts tue, nichts denke, nichts weiss und nichts will, erwachen und ganz deutliche Signale wahrnehmen würde. Plötzlich würde ich klar wissen, was ich nun tun muss und in welche Richtung das Leben weitergeht. Dann hätte mein Leben eine Bestimmung und ich hätte keine Fragen mehr. Alle meine Fragen (und es waren ein paar Knackige darunter) wären beantwortet oder hätten sich in Luft aufgelöst. Klarheit, Licht, Friede... vielleicht sowas wie Erleuchtung. Und prickelnde Freude. Das also war mein ziemlich umfassender Plan, keinen Plan für die Auszeit zu haben.
Dann begann diese magische Zeit. Und ich stellte bald einmal fest, dass sie sich so magisch gar nicht anfühlte. Die ersten Wochen verbrachte ich damit, meinen Haushalt aufzulösen. Da ich von der Wohngemeinschaft in mein bereits bestehendes Wohnwagen-Zuhause umzog, konnte ich keine Möbel behalten, und auch sonst war der Platz sehr beschränkt. Ausmisten, sortieren, verkaufen, wegbringen, verschenken, ausmisten... Auch die Vorbereitungen für meine Portugal-Reise liefen auf Hochtouren. Es gab viel zu tun und meine Tage waren sehr besetzt. Auch Freunde, Freund, Hobbys füllten meine Zeit. Leerer Raum? Von wegen! Die Reise war super, und ich konnte in dieser Zeit tatsächlich meinen Impulsen folgen. Gehe ich hierhin, oder dorthin, verbringe ich noch einen Nacht länger da oder wandere ich weiter? Es fühlte sich toll an. Meine Fragen blieben unbeantwortet, ich liess sie einfach warten.
Wieder zurück zu Hause auf meinem Campingplatz ging es weiter mit den bewegten Tagen. Reich gefüllt mit vielen tollen Begegnungen - von wegen LEER und NICHTS. Eine sehr schöne Zeit, aber irgendwie auch zu viel des Guten. Die einzigen Impulse, die ich spürte, waren die, noch mehr in meinen gefüllten Kalender reinzustopfen, und denen versuchte ich gelegentlich zu widerstehen. Ich fing an, meinen Freunden zu erklären, ich könne mich nicht noch mehr verabreden, da ich von meinem Freizeitstress zunehmend müde wurde. Ich sehnte mich nach Ruhe und Entspannung - und das nach 5 Monaten Auszeit!
Irgendwann erkannte ich, dass es in mir einen grossen Leistungstrieb gibt. Er schreit in mir förmlich danach, dass diese Auszeit ERFOLGREICH sein muss. Dass ich nachher in irgendeiner Weise schlauer, besser, glücklicher sein sollte. Oder dass ich nachher etwas Besonderes kann (oder bin). Dass sich dann etwas tiefgründig verändert haben sollte. "Man kann doch nicht einfach nichts tun, und das noch für so eine lange Zeit", sagte eine innere Stimme. Ich weiss nicht, ob das auch äussere Stimmen sagen oder denken in meinem Umfeld. Brauchen sie nicht, ich übernehme das schon selber. Man (und frau erst recht) muss leisten, muss etwas erreichen, und muss ganz genau wissen, was man will. Am besten bringt man etwas richtig Grosses hervor. Und da ich bisher nie so richtig wusste, was das sein soll, war die Auszeit unbewusst auch zur Chance (und zur Aufgabe) mutiert, das herauszufinden. Und jetzt erst bemerkte ich, dass ich mir diese Aufgabe zwar gestellt hatte, aber keine Ahnung hatte, wie sie zu lösen war. Ich fühlte mich zuweilen überfordert und kriegte Angst. Ich würde mir selber nicht gerecht werden, würde etwas Wichtiges verpassen, weil ich ziellos im Leben umherschweifte. Da war (und ist) eine Angst, irgendwann unglücklich über mein verpasstes Leben zu sinnieren.
Mittlerweile sind es 6 1/2 Monate gewollt ohne regelmässige Arbeit, wieder unterwegs, diesmal in Spanien. Meine Tage sind weiterhin reich gefüllt, Leere ist noch immer eine interessante Vorstellung, hat aber nichts mit der Realität zu tun. Seit vielleicht zwei Wochen gibt es (endlich) dieses Gefühl von Freiheit, Tun-was-ich-will, die Möglichkeit, meine Impulse wahrzunehmen und ihnen auch zu folgen. Aber ich habe weiterhin keine klare Ausrichtung, wie mein Leben weitergehen könnte, keine Ahnung davon, was ich wirklich und mit aller Konsequenz will. Am besten zeigt sich dies beim Kinderwunschthema, aber auch bezüglich Job und Wohnung. Immer gibt es mindestens zwei Varianten, die ich möchte und die irgendwie nicht so ganz zusammenpassen wollen. Ich will nur ganz wenig arbeiten UND einen spannenden, verantwortungsvollen Job, am liebsten noch mit Führungsfunktion. Ich möchte einen einzigen Wohnort ohne Aufwand, möchte in Thielle wohnen UND gleichzeitig am liebsten sofort in Bern eine Wohnung haben. Ich möchte mit meinem Freund weitergehen, alle meine Freiheiten geniessen UND trotzdem am liebsten sofort schwanger werden und ein Kindlein unter meinem Herzen spüren. Widersprüche? Wer weiss, was möglich ist und was sich schliesslich in meinem Leben manifestieren wird. Ich bin offen für Überraschungen.
Jedenfalls sind meine grossen Fragen unbeantwortet, immer noch. Und manchmal stresst mich das, ist mir das peinlich. Eine Frau in meinem Alter, schliesslich nicht mehr ganz so jung, sollte wissen, was sie will und bereit sein, dafür alles zu geben. Und ehrlich, ich wünschte manchmal, ich hätte so eine klare Ausrichtung, eine Leidenschaft, für die ich meinen vollen Einsatz zu geben bereit wäre. Ein Kind, das ich lieben kann und für das ich alles gebe. Eine Vision, eine gute Sache, für die ich mein letztes Hemd geben würde, eine Aufgabe, die mich total in Anspruch nimmt und meinem Leben Sinn und Inhalt gibt. Aber das habe ich nicht, und mit Suchen finde ich es nicht. Es ist ok, einfach diese Sehnsucht zu haben, wie damals im Ashram in Indien, als ich gerne gespürt hätte, dass ich dort bleiben MUSS, aber halt einfach wusste, hier gehöre ich nicht hin. Es macht manchmal Angst, dieses Nichtwissen. Angst, am Ende zu bereuen, dass ich nicht dieses oder jenes verfolgt habe. Angst, irgendwann im Nachhinein zu wissen, was es gewesen wäre, aber es verpasst zu haben. Aber trotz aller Angst vor dem Nichtwissen, es gibt grad jetzt - auch wenn ich in mir suche - nichts zu wissen. Ich bin. Ich bin hier und jetzt und das so präsent und offen wie möglich. Mal gelingt es besser, mal weniger. Manchmal weiss ich ganz sicher, dass ich jetzt grad dies oder jenes will. Und das sind immer Kleinigkeiten. Noch besser weiss ich meist, was ich NICHT WILL. Sobald es um die grossen Dinge geht (will ich ein Kind? Wie will ich leben?) wird es verschwommen. Das Hin-und Her-Denken setzt ein und das klare Fühlen aus. Und so plätschert mein Leben weiter dahin. Mein Leben ist super, jetzt grad. Nur weiss ich halt nie, was ich dann bereuen werde, wenn ich die grossen Dinge verpasst hab... Und vielleicht ist das nur eine Idee; etwas zu verpassen. So viel Wunderbares hat das Leben mir gebracht. Irgendwie das Richtige. Möglich, dass es weiterhin einfach kommt, ohne dass ich etwas dafür tue? Vertrauen? Verdammt schwierig! Aber was bleibt mir in meinem Nichtwissen schon anderes übrig?

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