Rituale 2 - Spirale und Cerridwen
- Janine Brodbeck
- 6. Feb. 2022
- 3 Min. Lesezeit
Die Spirale betreten
In meinem Winter-Einsamkeits-Retreat fühle ich mich eines Tages von der noch grünen Wiese angezogen. Unterhalb einer Tanne finde ich mehrere lange Äste und es lege sich in stiller Arbeit eine doppelte Spirale auf die Erde. Sie dient mir später für mehrere Rituale. Mit Betreten der Spirale finde ich mich sofort in einer rituellen Haltung wieder. Als wäre es das Tor zu einem heiligen Raum. Der Weg führt zur Mitte hin, wo ein Innehalten fast automatisch wird, und heraus führt mich die Spirale auf einem anderen Weg, parallel dazu. Eine Spirale ist magisch. Beim langsamen Hineingehen kann ich mich einem Thema zuwenden in mir, kann ich mich vertiefen in etwas, kann ich zu einer Mitte hin gelangen, die in mir selber liegt. In der Mitte kann ich verweilen. Kann mich einen Moment hinsetzen, denn hier bin ich ganz mit mir, in mir. Ich werde still, vielleicht ganz im jeweiligen Moment angekommen, die Gefühle annehmend, das So-Sein annehmend. Nach einer Weile stehe ich auf, verlasse die Spirale. Und es ist nicht derselbe Weg, den ich da gehe. Und es ist nicht dieselbe Frau, die da geht. Wandlung hat stattfinden dürfen. Ich bin neu, bin anders, etwas in mir ist anders. Und die Welt hat sich ein Stück weiter gedreht, sie ist nie mehr dieselbe...

Synthese von Gegensätzen
Ein paar Tage später wird die Spirale von Schnee überdeckt. Ich finde sie wieder, erkenne sie unter dem weissen Zuckerguss. Mit den Schneeschuhen bahne ich mir den Weg hinein, langsam einen Fuss vor den andern setzend. In der Mitte setze ich mich erneut, meditiere, und verlasse sie durch den zweiten Spiralkanal. Äusserlich ist sie nun wieder gut sichtbar. Ich drehe eine Runde um die Tanne und starte von neuem meinen Weg in die Spirale hinein. Mit jedem Schritt mache ich mir bewusst, welche Gegensätze ich in meinem Leben sinnvoll verknüpfen möchte. Hier ein paar Beispiele:
mich engagieren - Freiheit geniessen
ein Kind haben - Freiheit
mit Massimo in Beziehung sein - Familienwunsch
Angst haben - vertrauensvoll sein
viel Geld haben - wenig arbeiten
verbindliche Beziehung - neue, prickelnde Begegnungen
allein sein/Einsiedlerin - Gesellschaft/Gemeinschaft
Faulheit - Erfolg
"Meines" umsetzen - Angst
Projekt - Ideenlosigkeit
In der Mitte angekommen, lasse ich all diese Gedanken los. Ich weiss nicht, wie es gehen soll, diese Gegensätze zu verbinden. Aber ich sehe vor mir das Bild eines grossen Kochtopfes, in dem eine alte Göttin rührt. Cerridwen. Ihr wird die Kraft nachgesagt, in ihrem grossen Kessel, in der die Ursuppe kocht, alles transformieren zu können. Ich trete also langsam und behutsam aus der Spirale heraus und gehen nach Hause, um mir eine kräftige Suppe zu kochen. Cerridwen-Suppe. (Cerridwen ist beschrieben von Amy Sophia Marashinsky. Göttinnen Geflüster. 7. Auflage 2011, Göttin Cerridwen, S. 73 ff.)
Verstrickungen durchschneiden
Bei meiner grossen Spirale draussen auf der Wiese beginne ich ein Loslassritual für mich und all die Männer und die Frau, in die ich in meinem Leben verliebt war. Ich möchte allenfalls noch vorhandene Verstrickungen lösen. Langsam schreite ich in die Spirale hinein und hole innerlich der Reihe nach jede Person ins Feld, in die ich einmal verliebt war. Ich beginne bei der aktuellen Zeit, stelle mir meinen letzten Ex-Freund vor, danke ihm für die gemeinsame Zeit, die Erlebnisse, das zusammen unterwegs sein. Gedanklich wandere ich weiter in die Vergangenheit, immer mehr, wiederhole das bei jedem Menschen, der mir einfällt, mit dem ich zusammen war oder gerne gewesen wäre. Beziehungen, Affären, Schwärmereien, kindliches Verliebtsein, bis ich bei meinem Vater und meiner Mutter angekommen bin. In der Mitte der Spirale danke ich nochmals all jenen und sage mir innerlich, dass es nun Zeit ist, die Menschen bzw. die Verstrickungen zu ihnen ganz gehen zu lassen aus meinem Leben. Beim Herausgehen aus der Spirale verabschiede ich mich in umgekehrter Reihenfolge von jedem und jeder. Zurück in der warmen Stube habe ich das Bedürfnis, auf eine andere Art das soeben Erlebte zu verstärken. Auf einem Blatt Papier schreibe ich mich in die Mitte und dann nochmals alle Name dieser verflossenen Liebschaften im Kreis. Es sind eine ganze Menge, die da zusammen-kommen, denn ich bin seit dem Kindergarten mein ganzes Leben lang immer in mindestens eine Person ein wenig verliebt gewesen, habe geschwärmt und geträumt von der Verschmelzung. Ich spüre die Wärme, die mich durchströmt, wenn ich an diese Menschen denke. Sie alle waren wichtig für mich.

Ich schreibe spiralförmig einen Dank in die Mitte des Blattes: "Ich danke all den Liebespartnern meines Lebens für die Geborgenheit, die sie mir geschenkt haben, teilweise ohne dass sie es gewusst haben. Meine Sehnsucht nach dem Verschmelzen, mach der ganzheitlichen Liebe, nach dem Lichtsein, verbunden mit allem, nehme ich hiermit ganz zu mir. Nehme mich in die Arme, halte meinen Sehnsuchtsteil, mein inneres Kind ganz nah bei meinem Herzen und werde frei..." Ich schneide diesen Text in eine Spirale. Dabei durchschneide ich auch die gezogenen Linien zwischen meinem Namen und den Namen all der Menschen. Symbolisch passt das. Ich durchschneide die Verstrickungen. Dann hänge ich das Blatt auf, die Spirale hängt herunter...
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